FrÜher Kartoffeln, heute
Kultur
Im MichelstÄdter Kleinkunstkeller
Patat arbeiten alle ehrenamtlich – nur die KÜnstler bekommen
Gagen und werden zudem kulinarisch verwÖhnt
Liebe geht durch den Magen! Mit dieser alten Weisheit lässt
es sich erklären, warum die Größen der deutschen
Kabarett- und internationalen Jazz-Szene so gerne im Patat in Michelstadt
gastieren. Dort erwartet sie nicht nur ein meist ausverkauftes Haus
und ein begeisterungsfähiges Publikum, sondern auch Gastgeber,
die ihr Handwerk verstehen. Besonders am Herd – denn Catering
in Form von Schnitzel mit Pommes oder Käsefladen vom Pizzaservice
gibt es im Patat nicht. Stattdessen ein Mehrgang-Menü vom Feinsten.
Die hervorragende Küchencrew des Kleinkunstvereins – von
Sterneköchen geschult – ist unter den Künstlern inzwischen
bundesweit bekannt und lockt selbst jene in den tiefen Odenwald,
die sonst nur noch in den Städten, in den großen Häusern
spielen.
Seit neun Jahren gibt es den Kleinkunstverein Patat und ihm gehören
inzwischen über tausend Mitglieder an. In all den Jahren war
der Verein niemals auf Subventionen
angewiesen, er finanziert sich
von Anfang an selbst, ausschließlich aus Mitgliedbeiträgen
und Spenden. Angefangen hat alles, als Dr. Lothar Mertens, ein Erbacher
Bauingenieur, in Michelstadt eine Hofreite kaufte, um dort Wohnraum
zu schaffen. Unter diesem Komplex befanden sich drei riesige Gewölbekeller – und
es entstand die Vision, dort eine Kleinkunst- und Jazzbühne
zu etablieren. Diese Vision verbreitete sich wie ein Virus, ein Verein
wurde gegründet, der Besitzer zum Vorsitzenden gewählt – und
die Aufräumarbeiten begannen.
Schon nach kurzer Zeit erstrahlen die alten Gewölbe in neuem
Glanz. Ein Keller wurde zum Veranstaltungsraum mit Bühne und
Platz für rund Zuschauer, ein weitere zum Bar-Raum mit langer
Theke. Im dritten Keller lagern die Vorräte und die Küche
fand darin ihren Platz. Ihre Größe und Ausstattung lässt
manchen professionellen Gastronomen
vor Neid erblassen.
Von der ersten Veranstaltung an hieß es meist: Ausverkauft!
Ob Volker Pispers, Urban Priol, Matthias Deutschmann, Thomas Freitag
oder der inzwischen leider verstorbene Matthias Beltz – sie
alle fühlten sich im Patat wohl und kamen gerne wieder. Ebenso
die Jazz-Größen wie Emil Mangelsdorf, Hazy Osterwald,
Charly Antolini, Trevor Richards, Engelbert Wrobel, Chris Hopkins
und viele andere mehr.
Geführt wird das Patat – es handelt sich ja um einen Verein – auf
ehrenamtlicher Basis. Ob die Küchencrew, im „richtigen
Leben“ Ärzte, Lehrer, Bauingenieure, die junge Thekenmannschaft,
bestehend aus angehenden Abiturienten des benachbarten Gymnasiums,
die Techniker, die handwerklich Begabten, die den Keller in Schuss
halten und die unzähligen Helfer bei allem, was anfällt – jeder
arbeitet ohne Lohn, ehrenamtlich eben, im Dienst der guten Sache.
Kultur auf hohem Niveau in den Odenwald zu holen, das war vor neun
Jahren die Intention der Patat-Gründer. Und das haben sie in
den vergangenen neun Jahren auch realisiert. Gespielt wird alle drei
bis vier Wochen jeweils freitags und samstags, 15 bis 20 Veranstaltungen
stehen pro Saison auf dem Programm. Vereinsmitglieder genießen
den Vorteil des „Vorkaufsrechtes“ an den Karten, bevor
diese drei Wochen später in den regulären Vorverkauf gehen.
Die Karte kostet zwölf Euro, hin und wieder, wenn die Gage höher
liegt, auch mal 15 Euro.
Den überwiegenden Part des Programms nimmt Kabarett ein, gefolgt
Jazz und anderen
Musikveranstaltungen. Comedy gibt es auch, aber
sie muss gut sein, sonst hat sie im Patat keine Chance. Um zu entscheiden,
was gut ist, schauen sich die Programmverantwortlichen alle Künstler
vorher an, irgendwo in der Umgebung oder auf der Kleinkunstbörse
in Freiburg. In dieser Saison gibt es Wiedersehen unter anderem mit
Kabbaratz, Heinrich Pachl, Jess Jochimsen, Gerd Weismann von den „Netzbeschmutzer“ sowie
Angela Brown mit Jan Luley am Flügel. Das nächste Jahr
steht ganz im Zeichen des zehnjährigen Jubiläums, was eine
heftige Programmdichte mit ganz vielen alten Bekannten mit sich bringen
wird.
Ein Termin im Jahr ist bei keinem der Mitglieder, ob aktiv oder passiv,
sonderlich beliebt: Die unumgängliche Jahreshauptversammlung
des Vereins, obwohl diese meist in Kürze abgehandelt ist. Aber
Vereinmeierei ist allen Beteiligten eher verpönt, es geht ausschließlich
darum, Kultur zu vermitteln, den Gästen angenehme, interessante
und unterhaltsame Abende zu bescheren. Selbstverständliche werden
auch diese kulinarisch verwöhnt, in der Pause, mit kleinen,
raffinierten Snacks.
Der Name Patat leitet sich übrigens von dem ehemaligen Verwendungszweck
des Keller ab: Ein Großhändler lagerte darin Kartoffeln.
Das ist längst Vergangenheit. Kartoffeln lagern nur noch in
geringen Mengen im Vorratsraum, um lecker zubereitet die Künstler
kulinarisch zu verwöhnen, damit sie immer und gerne wiederkommen.
Liebe – auch zu kleinen Bühnen auf dem Lande – geht
halt doch durch den Magen. (Liane Probst-Simon)
KleinkunstbÜhne Patat, Erbacher Str. 17, 64732 Michelstadt, www.patat.de